ID 34799
Los 150 | Museales Barock-Aufsatzkabinett mit chinoiser Lackmalerei
Schätzwert
€ 12 000
153 x 91 x 51 cm
Zweitüriges Kabinett mit elf Schubladen. Gravierte und punzierte Original Messingbeschläge. Polychrome Lackmalerei. Geschnitzter und vergoldeter Stand mit Tablettsteg für drei Vasen. Restauriert. Altersspuren.
Provenienz: Christie's Amsterdam, sale 3017 (European Noble and Private Collections), 11./12. Dezember 2012, Lot 819. Aus dem Besitz eines Nachfahren von Ernst Ludwig Graf zu Rantzau, vormals befindlich in Schloss Annettenhöh, Schleswig - Die Formensprache der ostasiatischen Kunst prägte die ästhetische Entwicklung des Kunsthandwerks im europäischen Barockzeitalter. Der umfangreiche Import chinesischen Porzellans ließ die sogenannte "facon de la Chine" zu einer hochaktuellen und anhaltend wirksamen Stilrichtung werden. Was mit Händlern aus Portugal und Spanien begann, wurde während des 17. Jahrhunderts vor allem über die Wege des Ostindienhandels nach England und Holland gebracht. Besonders von Holland aus gelangten Lack und Porzellan als exotische Luxusgüter in das Heilige Römische Reich, genauer gesagt an die Höfe der deutschen Fürsten. Das vorliegende Kabinett orientiert sich stilistisch nicht an japanischen, sondern ausschließlich an chinesischen Vorbildern des 17. Jahrhunderts. Charakteristisch sind die gestaffelte Komposition des Landschaftsausschnitts und die perspektivisch gewinkelten Mauerabschnitte, die in eben solchen scharfen Zickzacklinien als Elemente sowohl auf chinesischen Lackarbeiten (wie z.B. Stellschirmen in Koromandellacktechnik) als auch auf Porzellanen der Kangxi-Zeit wiederzufinden sind. Dieses Kernmotiv erscheint ähnlich auch auf zeitgleich entstandenen niederländischen Lackkabinetten, jedoch in einer insgesamt naiveren Auffassung (vgl. Holzhausen, Lackkunst in Europa, 1958, S. 56, Abb. 24, sowie Kopplin, European Lacquer, 2010, S. 53). Eine präzise Analyse aller Versatzstücke, der Figurenstaffage, der Architekturelemente, der Pflanzen, Vögel und Insekten etc. könnte wahrscheinlich im Vergleich mit anderen Lackkabinetten der Zeit zu einer genaueren kunsthistorischen Einordnung führen. Die asymmetrische Komposition der Lackmalerei spricht hier weder für eine englische noch für eine holländische Produktion. Stilistische Nähe besteht vielmehr zu Lackmöbeln aus Deutschland. So lassen sich Übereinstimmungen mit zwei weißen Kabinetten aus der Dagly-Werkstatt feststellen: ein weißes Kabinett aus Schloss Monbijou (Kriegsverlust; vgl. Kopplin, Gérard Dagly und die Berliner Hofwerkstatt, 2015, S. 149) lehnt sich im Dekor der Türen ebenfalls ausschließlich an chinesische Vorlagen der Kangxi-Zeit an und weist die charakteristische Einbeziehung eckig gebrochener Zaunmotive auf, die die Komposition diagonal durchschneiden; desgleichen die Türinnenseiten eines weiteren Kabinetts aus Schloss Monbijou (ebenfalls Kriegsverlust; vgl. ebendort, S. 152). Mit einer Datierung dieser Beispiele kurz vor und um 1700 existiert zumindest stilistisch die Möglichkeit der Verortung in den norddeutschen Raum. Der Einfluss prominenter Künstler und Lackmaler bleibt sicherlich zu diskutieren, zumal auch eine Ähnlichkeit zu der Korpusbemalung eines weißen Cembalos aus der Berliner Hofwerkstatt aus der Zeit um 1700 zu erwähnen ist (vgl. ebendort, S. 172-173). Historisch betrachtet lässt sich die Chinoiserie, also die Nachbildung und Vermischung ostasiatischen Dekors, auf importiertes Porzellan aus der Regierungszeit von Kaiser Kangxi (1662 bis 1722) zurückführen und damit in der Zeit des Barock und des Rokoko in Europa als vorbildhaft benennen. Der Wunsch nach exotisch anmutender Kunst wurde in einer Vielzahl von Publikationen mit Anleitungen und Mustervorlagen zum Ausdruck gebracht und vor allem von zahlreichen deutschen Werkstätten sehr erfolgreich umgesetzt. In Hinsicht auf Form, Farbe, Ornament und Funktion herrschte dabei eine ausnehmend große Vielfalt. Vor diesem Hintergrund zählt das chinoise Lackkabinett in England, Holland, vor allem aber in Deutschland zu den Paradebeispielen des späten 17. und 18. Jahrhunderts. Meisterhaft gearbeitete Lackmöbel mit qualitativ hochwertiger Lackmalerei waren in dieser Zeit repräsentative Schaustücke an zahlreichen Höfen und illustrieren deshalb noch heute die kunsthistorische Bedeutung der Lackkunst in Deutschland. - Literatur: Gérard Dagly 1660-1715 und die Berliner Hofwerkstatt, Katalog zur Ausstellung im Museum für Lackkunst, Münster, vom 19. April bis 26. Juli 2015, herausgegeben von Monika Kopplin, München 2015. Dies.: European Lacquer. Selected works from the Museum für Lackkunst Münster, München 2010. Württemberg, Philipp von: Das Lackkabinett im deutschen Schloßbau. Zur Chinarezeption im 17. und 18. Jahrhundert, Bern 1998. Holzhausen, Walter: Lackkunst in Europa, Braunschweig 1958.
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