ID 19874
Lot 190 | Immendorff, Jörg (1945 Bleckede/Elbe - 2007 Düsseldorf). Café de Flore 'Gyntiana'
Estimate value
€ 30 000
Das Gemälde wird in das von Prof. Dr. Siegfried Gohr in Vorbereitung befindliche
Werkverzeichnis der Gemälde mit der WVZ.-Nr. II.310 aufgenommen.
Provenienz:
Atelier des Künstlers
Privatsammlung Baden-Württemberg
Privatsammlung Europa
Im Jahr 1992 wurde Jörg Immendorff nach Oslo eingeladen, um beim Ibsen-Festival
mitzuwirken. Henrik Ibsen (1828-1906) ist Norwegens bedeutendster Theaterdichter und "Peer Gynt" sein berühmtestes Werk für die Bühne. Während der Beschäftigung mit Ibsen wuchs Immendorfs Faszination für "Peer Gynt", ein dramatisches Gedicht, das 1876 in Christiania (heute Oslo) uraufgeführt wurde. Es handelt sich um eine in fünf Akte gegliederte Abfolge von Szenen, die lose aneinandergefügt sind. In Norwegen, Marokko, in Ägypten und der Wüste erlebt Peer Situationen zwischen Träumerei und Realität. Immendorff hat manches Motiv aus dem Stück für sein Weiterdenken fruchtbar gemacht, aber ein dichtes Netz aus Symbolen und Figuren
der eigenen Bilderwelt mit Ibsens Erfindungen geknüpft. Deshalb sind keine Illustrationen eines fremden Stoffes entstanden, sondern eine Durchdringung von Peer Gynts Problematik mit den Anliegen von Immendorff. 1992/1993 hat er ein riesiges Querformat (350 x 700 cm) mit dem Titel "Gyntiana" gemalt. Die ungemein reichhaltige und mehrschichtige Ikonographie dieses Monumentalwerkes ist in
das Pariser Café de Flore versetzt, einem berühmten Künstlertreffpunkt. Das Personal umfasst historische und zeitgenössische Berühmtheiten. Das vorliegende Gemälde entstammt in motivischer Hinsicht aus der Mitte der großen Komposition. Im Zentrum befindet sich ein Selbstbildnis Immendorffs als Geisha mit einem
Fächer, in dem er mit einem Spaten, in der Wüste grabend, zu sehen ist. Vorne knabbert ein Ziegenbock an einer Tulpe. Dieses Tier kommt als Rentierbock gleich in der ersten Szene bei Ibsen vor, als Peer von einem wilden Ritt auf einem solchen Bock erzählt, der jedoch reichlich phantastisch scheint; weshalb das Ganze eher als eine für Peer Gynt typische Träumerei oder Lügengeschichte gehalten wird.
Im leeren Café-Raum spielt Immendorff rechts an einem Klavier, auf dessen Vorderseite dreimal der Kopf von Mao Zedong in runden Medaillons erscheint. Am Tisch links lässt sich ein Vergleich mit der großen Fassung das Porträt von Piero Manzoni erkennen. Hell erleuchtet steht vor ihm auf dem Tisch eine Dose "Merde d'artiste". Die Figur lässt sich wie die Antithese zu dem verkleideten und geschminkten Immendorff verstehen, der sich verfremdet und auf Distanz zu sich selbst bringt. Als Gräber nach Gold in der Wüste (auf dem Fächer) symbolisiert er die Suche nach sich selbst und seiner Bestimmung, die Immendorff als zentrales Motiv bei Peer Gynt entdeckt hatte.
(TexTiefe: Prof. Dr. Siegfried Gohr)
Auction house category: | Post War paintings, drawings, watercolours |
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