Constantin Gerhardinger. "Meine Modelle". 1926

Los 146
08.05.2024 14:00UTC +01:00
Classic
Startpreis
€ 8 000
AuctioneerKunstauktionshaus Neumeister
VeranstaltungsortDeutschland, München
Aufgeld30%
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ID 1190974
Los 146 | Constantin Gerhardinger. "Meine Modelle". 1926
Schätzwert
€ 10 000 – 12 000
L. u. signiert und "IV. 26" datiert. Rücks. Etikett "Städtische Galerie Rosenheim". Öl auf Leinwand. 176 x 227 cm. Rest. Min. besch. Rahmen (179,5 x 236,5 cm).

Im Schaffen Gerhardingers sind Aktbilder von Frauen eine eigene Werksgruppe. Gerne arrangiert er seine weiblichen Modelle inmitten von drapierten Bettlaken oder im Freien vor einer Seekulisse. Dieses Gemälde hingegen kann wegen der Größe, dem Motiv und der Geschichte dahinter klar als Hauptwerk dieser Werksgruppe gewertet werden. Geschickt zeigt das Gemälde nicht den klassischen Frauenakt, der den Menschen und die Körperlichkeit in das Zentrum des Gemäldes stellt, sondern es ist Teil einer subtilen Handlung. Denn eigentlich sind die beiden Damen noch nicht bereit, Modell zu stehen: Die rechte Frau ist im Begriff, sich auszuziehen, während sich die linke bereits auf der Decke positioniert hat und auf ihre Kollegin zu warten scheint. Dies wird durch den direkten Blickaustausch der Frauen offenkundig. Jochen Meister merkt an, dass hier nicht der Akt als solches im Mittelpunkt steht, sondern das "Davor" oder das "Dazwischen" (Meister 2006, S. 16). Die Damen sind nicht, wie in anderen Darstellungen von Akten üblich, in einer perfekten finalen Pose inszeniert. Stattdessen agieren sie "natürlich" und befinden sich in der Vorbereitung auf eben diesen Moment. Dadurch erschafft Gerhardinger eine private Szene, in welcher die Betrachtenden dazu eingeladen werden, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.



Da der Bildraum zu allen Seiten beschränkt ist, liegt der Fokus auf dem Blickaustausch der beiden Damen. Hierin begründet sich die (erotische) Spannung des Werkes. Das wird durch das Format unterstützt: Gerhardinger gibt den Moment in Lebensgröße wieder, als wären wir im gleichen Raum wie die beiden.



Ebenso ist keine Stelle des Gemäldes leer, in nahezu jeder Ecke gibt es Details zu entdecken: Auf einem Beistelltisch neben dem Bett auf der linken Seite ist ein Blumenstrauß aus Rosen mit einer Tasse mit Goldrand sowie zwei Orangen auf einem Silberteller angerichtet. Die gelbe Decke, auf der das liegende Modell positioniert ist, liegt nicht parallel zu ihr, sondern ist vertikal über das Bett drapiert. Das rechte Modell steht zum Teil hinter einem Stuhl. Unterhalb des Bettes sind der knallgelbe Regenschirm sowie der rote Hut der sich entkleidenden Dame zu sehen. Hinter dem Bett, im Zwischenraum der beiden Frauen, ist noch eine Kanne zu sehen, als wäre diese sie nicht aufgeräumt worden. Jedes dieser Teile ist vom Künstler gekonnt so platziert worden, dass wir immer wieder was Neues im Bild entdecken können.



Die Farbigkeit tut ihr Übriges: Die Decken wirken wie ein farbiger Wasserfall im sonst dunkel gehaltenen Zimmer, das Stillleben auf dem weißen Tischtuch hebt sich durch seine Leuchtkraft ebenfalls aus dem Gemälde heraus. Dafür ist das restliche Zimmer bereits verdunkelt, selbst das eine Modell muss sich bereits im Halbdunkel ausziehen, lediglich ihr heller Torso sowie ihr weißes Oberteil heben sich vom dunklen Hintergrund hervor. Schon die Zeitgenossen Gerhardingers erkannten die Bedeutung des Gemäldes für sein Schaffen. Im Jahr 1926 wurde bei der ersten Ausstellung des Gemäldes in der Galerie Heinemann in der Kunst für Alle über das Gemälde positiv berichtet: "Erstaunlich, wie ausgezeichnet er auf dem etwas zu vollen Gemälde mit den beiden weiblichen Akten die Details durchführt. So ein Stück Fleisch ist mit unüberbietlicher Meisterschaft der Pinselführung und der Palettenkunst hingestrichen. Aber auch ein kleines Stillleben auf dem gleichen Bild oder ein Stück Stoff, ein Gobelin, eine Tasse, ein seidener Schirm - alles unüberbietlich in malerischer Hinsicht. Solcher Techniker gibt es in diesem Lager viele, wenn es auch nur wenigen gelingt, das Niveau Gerhardingers zu erreichen." (Wolf 1926, S. 340). Das Lob von Wolf thematisiert vor allem die technische Umsetzung des Sujets, woran auch spätere Kritiker anschließen. Über das dargestellte Motiv hingegen wurde in der weiteren Presse durchaus kontrovers berichtet. Die dazugehörigen Artikel sammelten Faußner und Hauser in ihrer Arbeit über den Künstler. In der Münchener Künstlerchronik wird zwar wie in der Kunst für Alle noch über das Malerische Gerhardingers geschwärmt, das Motiv ist den Autoren jedoch zu beliebig. Kritisiert wird, dass der Moment des "Dazwischen" ausgewählt wurde und damit der "Reiz des Momentanen" fehlt.



Weiter geht die Kritik in der Augsburger Postzeitung. Der Zeitung zufolge entfernt sich der Künstler mit dem Werk von seinem Vorbild Carl Schuch und beschreitet eigene Wege. Allerdings fehlt ihm das Verständnis, was ein Bild ist, so die Redaktion. Seine Modelle werden als "buntes Chaos" kritisiert, die zwar malerisch gelungen sind, aber der Bildinhalt nicht überzeugend ist. Das Werk wurde 1927 erneut in einer Einzelausstellung der Kunsthandlung Schneider als Hauptwerk des Künstlers ausgestellt, dort jedoch nicht in den Räumen, sondern im Erker nach außen gezeigt, sodass Passanten das Werk sehen konnten. In der Monographie Gerhardingers schildern Faußner und Hauser die Entrüstung über das Gemälde in der Frankfurter Bevölkerung. Ihnen zufolge wurden wegen der sexuellen Note des Bildes von unterschiedlicher Seite Hebel in Gang gesetzt, um das Werk aus dem Schaufenster zu vertreiben. Einen Beweis dafür bleiben die beiden Autoren jedoch schuldig. Ob die Galerie das Werk verkaufen konnte, ist nicht überliefert, zumindest existiert im Verkaufsbuch des Künstlers kein Eintrag, der das belegen könnte.



Gerhardingers Gemälde polarisierte: Mit dem Werk konnte er sich von den Vorbildern aus dem Leibl-Kreis in weiten Teilen trennen, seine neue Bildauffassung wurde jedoch von seinen Zeitgenossen kritisch gesehen. Nach heutigen Maßstäben lässt sich genau in diesem Werk seine moderne Kunstauffassung wahrnehmen, im Gegensatz zu seinen sonstigen, eher traditionell anmutenden Werken. Die Art, wie er Sinnlichkeit in den Blicken der Dargestellten einfängt, erinnert entfernt an die Revolution, die Édouard Manet mit seinen "Frühstück im Grünen" aus dem Musée de Orsay im Paris des 19. Jahrhunderts angestoßen hat.

Provenienz: Nachlass des Künstlers. - Städtische Galerie Rosenheim. - Nach Überlieferung durch ein Tauschgeschäft an die Sammlung Hans Constantin Faußner übereignet. - Sammlung Hans Constantin Faußner, München.



Literatur: Meister, Jochen, Ein Blick für das Volk. Die Kunst für Alle. Katalog der Gemälde. Publikation zur gleichnamigen Ausstellung im Haus der Kunst, 14. Juni - 03. September 2006 (Online-Publikation Arthistoricum.com), München 2006, S. 16, Kat.-Nr. 15. - Wolf, Georg Jakob, Allgemeine Kunstausstellung im Münchener Glaspalast 1926, in: Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur, Heft 11, August 1926, S. 340-345. - Faussner, Hans Constantin/Hauser, Bernhard, Der Maler Constantin Gerhardinger - Der Versuch einer Dokumentation. München 1988, S. 34-45: Dort mit ausführlichen Berichten über das mediale Echo zu dem Gemälde.



Ausstellungen: Galerie Heinemann München, Einzelausstellung Constantin Gerhardinger, 1926, Kat.-Nr. 1. - Kunsthandlung Schneider, Frankfurt (Main) 1927. - Städtische Galerie Rosenheim, Gedächtnisausstellung Constantin Gerhardinger, 1988, Kat.-Nr. 43. - Haus der Kunst München, Ausstellung Die Kunst für Alle, 2006, Kat.-Nr. 15.
Adresse der Versteigerung Kunstauktionshaus Neumeister
Barer Str. 37
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