Die Wittelsbacher und das Schlossgut Sárvár
In Bayern ist der Name Sárvár in der Erinnerung mit König Ludwig III. verbunden, weil er dort am 18. Oktober 1921 fern der bayerischen Heimat verstarb. Der Münchener Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber (1869– 1952) hat diesen Todesfall in seiner Leichenpredigt überhöht und den toten König in die Nähe des im Exil in Salerno verstorbenen Papstes des Investiturstreits Gregor VII. gerückt: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Unrecht gehaßt; darum sterbe ich in der Verbannung. Papst Gregor hat diese Worte gesprochen, als er fern von seiner Residenz, im fernen Salerno, das Zeitliche segnete. König Ludwig III. von Bayern konnte in seiner letzten Stunde, am 18. Oktober 1921, im fernen Sárvár in Ungarn jenes Papstwort wiederholen: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Unrecht gehaßt; darum sterbe ich in der Verbannung.“ Sárvár wurde damit zum Ort des vermeintlichen Exils des bayerischen Königs stilisiert. Das Schlossgut, das er im Herbst 1921 zu seinem letzten Jagdaufenthalt besucht hatte, war aber nur sehr kurz Eigentum Ludwigs III., es gehörte zum Erbbesitz seiner Ehefrau.
Königin Marie Therese von Bayern (1849–1919)
Erzherzogin Marie Therese Henriette Dorothea von Österreich-Este wurde am 2. Juli 1849 in Brünn geboren. Ihre Eltern waren Erzherzog Ferdinand Karl Viktor von Österreich-Este (1821–1849), Prinz von Modena, der noch in ihrem Geburtsjahr an Typhus sterben sollte, und Erzherzogin Elisabeth Franziska Maria (1831–1903) aus der ungarischen Linie des Erzhauses. 1803 war das italienische Haus Este im Mannesstamm mit Ercole III. Rinaldo (1727–1803) ausgestorben, über die Ehe Erzherzog Ferdinand Karls (1754– 1806) mit der Erbtochter Maria Beatrix von Este-Modena (1750–1829) lebte das Geschlecht in weiblicher Linie fort. Die Urenkelin aus dieser Verbindung, Marie Therese, wurde nach dem Tode ihres Onkels, des letzten regierenden Herzogs von Modena, Erzherzog Franz V. von Österreich-Este (1819–1875), der 1859 seinen Thron verloren hatte, zur Erbin des Hauses Este. Durch die Adoption des nachmaligen österreichisch-ungarischen Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand (1863–1914) durch Franz V. wurde sie allerdings weitgehend enterbt, sonst wäre das reiche Estensische Familienvermögen ihr zugefallen. Für sie blieben als Erbteil im wesentlichen nur die Güter Eiwanowitz bei Brünn in Mähren und Sárvár in Ungarn. Deshalb hatte Marie Therese auch die ungarische Staatsbürgerschaft, an der sie nach ihrer Vermählung festhielt. Nach dem Tode von Franz’ V. Witwe Adelgunde (1823–1914) im Jahr 1914 übernahm sie noch das Schloss Wildenwart im Chiemgau, in dem die Herzogin, eine Tochter König Ludwigs I., das Wohnrecht gehabt hatte.
Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts förderten genealogische Forschungen zutage, daß Erzherzogin Marie Therese über die Häuser Orléans, Savoyen und Este von Henriette Anne d’Angleterre (1644–1670), der Tochter König Karls I. von England und Schottland (1600–1649), abstammte. Dadurch wurde sie zur legitimistischen Erbin des Hauses Stuart, das im Mannesstamm 1807 erloschen war. Durch die sogenannte Glorreiche Revolution 1688/89 war die Herrschaft über England und Schottland an das protestantische Königspaar Maria II. (1662–1694) und Wilhelm III. von Oranien (1650–1702) und ab 1714 an das Haus Hannover übergegangen. Die Stuart-Anhänger erkannten dies nicht an, doch waren letzte Chancen auf eine Stuart-Restauration mit der Niederlage von Culloden 1746 gescheitert. Jakobitische Kreise Großbritanniens verehrten in Marie Therese von Bayern trotzdem die legitime Königin von England und Schottland. Da sich aber bereits der letzte männliche Angehörige des Hauses Stuart, Kardinal Heinrich Stuart (1725– 1807), Bischof von Frascati, – seinem legitimistischen Anspruch nach König Heinrich IX. von England, Schottland und Irland – mit König George III. von Großbritannien (1760–1820) weitgehend ausgesöhnt hatte, kam dem keine praktische Bedeutung mehr zu. Ihr ältester Sohn und Erbe des Anspruchs, Kronprinz Rupprecht von Bayern (1869–1955), betrachtete die Stuart-Erbfolge nur als historische Reminiszenz ohne praktische Bedeutung.
Bei den Trauerfeierlichkeiten für eine gemeinsame Verwandte lernte Erzherzogin Marie Therese 1867 in Wien den wenig älteren bayerischen Prinzen Ludwig kennen. Gegen den anfänglichen Widerstand ihres Vormunds Herzog Franz V., der ja selbst mit einer bayerischen Prinzessin verheiratet war, konnte die junge Erzherzogin die Verlobung mit Prinz Ludwig durchsetzen. Die Hochzeit fand am 20. Februar 1868 in Wien statt, das junge Paar bezog dann seine Wohnung im Wittelsbacher Palais in München. Das Familienleben des Prinzenpaares wurde von christlichen Grundsätzen bestimmt, doch war Ludwig ein Patriarch, der die unbedingte Autorität im Hause forderte. Marie Therese schenkte 13 Kindern das Leben: Prinz Rupprecht war der Älteste, die Prinzessinnen und Prinzen Adelgunde, Maria, Karl, Franz, Mathilde, Wolfgang, Hildegard, Notburga, Wiltrud, Helmtrudis, Dietlinde und Gundelinde folgten.
Prinzessin Marie Therese übernahm bereits lange vor ihrer Thronbesteigung manche Aufgaben einer Königin. Seit 1873, als König Ludwig II. von Bayern (1845–1886) sie zur Großmeisterin des Theresien-Ordens und damit zur Ersten Dame des Hofes, unter Wahrung des Ehrenvorrangs seiner Mutter, gemacht hatte, zeichnete sich immer deutlicher sein Verzicht auf Heiratspläne ab. Auch die Geisteskrankheit seines Bruders Prinz Otto (1848–1916) stand vor dem Durchbruch. Damit war die mögliche Erbfolge für Prinz Ludwig und seine Linie in den Bereich des Wahrscheinlichen gerückt. Seit 1890 war Marie Therese Protektorin des Bayerischen Frauenvereins vom Roten Kreuz. Die 1899 gegründete Maria Theresia-Realschule in der Münchener Au und die Städtische Töchterschule in Augsburg wurden nach ihr benannt.
Die in großen Verhältnissen aufgewachsene Erzherzogin Marie Therese war persönlich anspruchslos, obwohl sie ein vergleichsweise großes Vermögen in die Ehe eingebracht hatte. Ihr Leben war von ihrem tiefen katholischen Glauben geprägt, den sie auch an ihre Kinder weitergab. Neben ihrer umfangreichen Familie widmete sie sich besonders der Botanik. Sie verfasste Artikel für die „Zeitschrift der bayerischen botanischen Gesellschaft“ sowie das „Gartenmagazin“ und fertigte die Abbildungen selbst an. Ihren gärtnerischen Neigungen frönte sie, indem sie einen Blumengarten beim Wittelsbacher Palais in München sowie ein Alpinum in Leutstetten anlegte. Auch bei ihren Klettertouren in den Alpen beschäftigte sie sich mit der Vegetation. Ihr Sohn Rupprecht brachte ihr von seinen Reisen Pflanzen mit. Blumen bildeten ein bevorzugtes Motiv ihrer Malertätigkeit. Das Protektorat über den Münchener Künstlerinnen-Verein entsprach damit ihren Interessen. Außerdem interessierte sie sich für Zoologie und unterhielt einen Geflügelhof. Sie hatte eine gute musikalische Ausbildung erfahren und hatte eine Vorliebe für Hausmusik, für Klavierspiel und für Gesang.
Marie Therese war die erste katholische Königin Bayerns und tief in ihrem Glauben verankert, der ihr Leben prägte. Im Ersten Weltkrieg intensivierte sie ihr sozial-caritatives Wirken. Sie kümmerte sich mit dem Innenminister um die Versorgung von Kriegsversehrten, engagierte sich für den Neubau der Frauenklinik und die Einrichtung einer Hebammenschule in München. Rastlos besuchte sie Lazarette in ganz Bayern, wobei sie von ihren Töchtern unterstützt wurde. In den Nibelungensälen der Residenz richtete sie eine „Kriegsnähstube“ ein. Dazu versammelte sie Damen, um Wäsche und Verbandsmaterial für die Soldaten im Feld zu fertigen, aber auch, um „Liebesgaben“ zu organisieren. Sie betrachtete ihren persönlichen Einsatz wie den ihrer Töchter in der Verwundetenpflege und Fürsorge als Vorbild für die bayerischen Frauen.
Mitten im Krieg setzte Papst Benedikt XV. (1914–1922) auf Bitten des Königspaares 1916 das Fest Patrona Bavariae ein. Nach 50 Ehejahren begingen Marie Therese und Ludwig III. ihre Goldene Hochzeit in der Not des letzten Kriegsjahres, am 20. Februar 1918. Zu dieser Feier kamen Kaiser Karl von Österreich (1887–1922) und der Deutsche Kaiser Wilhelm II. (1859–1941) nach München. Aus diesem Anlass spendeten König Ludwig III. und seine Ehefrau fast zehn Millionen Mark für soziale Zwecke und richteten verschiedene Stiftungen ein.
Die Revolution vertrieb das Königspaar im November 1918 aus München. Die Strapazen der unvorbereiteten Reise nach Wildenwart, Hintersee, Anif bei Salzburg und zurück nach Wildenwart hatten den schwachen Gesundheitszustand der Königin weiter verschlechtert. Königin Marie Therese von Bayern, die seit längerem an einer inoperablen Geschwulst im Bauch litt, erlag am 3. Februar 1919 dieser Krankheit. Zunächst wurde ihr Leichnam provisorisch in der Schlosskapelle Wildenwart beigesetzt.
König Ludwig III. von Bayern (1845–1921)
Prinz Ludwig Leopold Joseph Maria Aloys Alfred von Bayern wurde am 7. Januar 1845 – und damit acht Monate vor seinem Cousin, dem späteren König Ludwig II. – in München geboren. Seine Eltern waren der drittgeborene Sohn König Ludwigs I. Prinz Luitpold von Bayern (1821–1912) und Erzherzogin Auguste Ferdinande von Österreich-Toskana (1825–1864). Der junge Prinz absolvierte die für einen Wittelsbacher seiner Generation typische Ausbildung, er studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München verschiedene Fachgebiete und wurde Offizier. Dabei interessierten ihn die Wissenschaften wesentlich stärker als seine Militärlaufbahn. Prinz Ludwig konzentrierte sich auf zivile Belange, zumal er seit dem Gefecht von Helmstadt im Westen Würzburgs vom 25. Juli 1866 an den Folgen eines preußischen Steckschusses in seinem Bein litt. Trotzdem avancierte er nominell bis zum Generalobersten und Generalfeldmarschall der Bayerischen Armee. Auf dem Gebiet der Landwirtschaft und auf dem ihrer Interessenvertretung, durch Einflussnahme auf die Politik wie durch die Unterstützung des Genossenschaftswesens, konnte Prinz Ludwig Erfolge aufweisen. 1868 übernahm er die Ehrenpräsidentschaft des bayerischen landwirtschaftlichen Vereins. Auch die Gründung des Bayerischen Kanalvereins zur Förderung des Rhein-Main- Donau-Kanals entsprach seinen Interessen. 1875 konnte Prinz Ludwig das Gut Leutstetten im Würmtal südlich des Starnberger Sees erwerben. Hier baute er ein wirtschaftlich erfolgreiches Mustergut auf, dessen Hauptstütze die Milchwirtschaft war. Außerdem richtete er dort eine Pferdezucht ein.
Sicher litt Prinz Ludwig unter seinem „Kronprinzenschicksal“, das ihm bis zu seinem 68. Lebensjahr eine wirklich selbständige Stellung verwehrte. Politische Stellungnahmen konnte er allenfalls im Reichsrat abgeben, doch durfte er die Regierung seines Vaters Prinzregent Luitpold nicht kritisieren. Das wohl politisch wichtigste Ereignis der Prinzregentenära bildete die Wahlreform von 1906. Nach dem Vorbild des Reichstags wurde für alle Männer das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht eingeführt, während in Preußen bis 1918 noch das Dreiklassenwahlrecht galt. Prinz Ludwig hatte sich in der Reichsrätekammer für dieses Reformgesetz ausgesprochen. Die Direktwahl der Abgeordneten sicherte die Erfolge des Bayerischen Zentrums bei den kommenden Landtagswahlen, 1912 errang es erneut die absolute Mehrheit. Prinz Ludwigs Einfluss war die Berufung des Vorsitzenden der Zentrumsfraktion im Reichstag, Georg Friedrich Freiherrn von Hertling (1843–1919), im Februar 1912 zum „Staatsminister des Königlichen Hauses und des Äußeren“ durch Prinzregent Luitpold zu verdanken. Erstmals fielen nun die Zentrumsmehrheit im Landtag und die Regierung zusammen, konnte sich das Kabinett auf das Vertrauen des Parlaments stützen. Diese Entwicklung bedeutete für Bayern einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einem parlamentarischen System. Prinz Ludwig konnte seine Anschauungen aber nicht öffentlich artikulieren. Als König wollte Ludwig III. dann seine Haltung nicht mehr ändern, zumal er sich eng an die Vorgaben seiner Regierung wie des Kaisers und der Reichsleitung hielt.
Mit dem Tode des Prinzregenten Luitpold am 12. Dezember 1912 ging eine Epoche zu Ende. Das beherrschende politische Problem in Bayern bildete die lange Dauer der Regentschaft ohne einen wirklich regierenden Monarchen. Erneut stellte sich nun die Königsfrage, die tragischen Ereignisse von 1886 lagen nunmehr über ein Vierteljahrhundert zurück. Luitpold hatte zweimal die Annahme des Königstitels abgelehnt. Prinz Ludwig trat die Herrschaft über Bayern zunächst ebenfalls als Prinzregent an. Die nominelle Regierung des kranken Königs Otto in Schloss Fürstenried bildete eine reine Fiktion. Erst im November 1913 gelang es Minister Hertling, über eine Verfassungsänderung das Königsproblem zu lösen, die bei dauernder Regierungsunfähigkeit des legitimen Königs eine Beendigung der Regentschaft nach zehn Jahren vorsah. Der Thronwechsel erfolgte damit formal ohne Zustimmung des Landtags. Prinzregent Ludwig erklärte am 5. November 1913 den Thron für erledigt und nahm als Ludwig III. den Königstitel an. Ihren Höhepunkt fanden die Feierlichkeiten mit einem Pontifikalamt im Liebfrauendom und der Landeshuldigung im Thronsaal der Residenz am 13. November.
Prinz Ludwig galt wie sein Vater als Vertreter der katholisch, konservativ und großdeutsch geprägten Richtung, beide waren mit Habsburgerinnen verheiratet. Er exponierte sich sogar soweit, daß er sich mit Genehmigung des Königs bei den Reichstagswahlen 1871 als Kandidat aufstellen ließ, allerdings ohne der Bayerischen Patriotenpartei beizutreten. Dies kann man gleichzeitig als sein Bekenntnis für eine Volksvertretung würdigen. Später galt Ludwig als die Seele der konservativen Hofpartei, welche die Kammer der Reichsräte dominierte. Als entschiedener Vertreter des Föderalismus musste er sich aber ab 1871 auf den Boden der geltenden Reichsverfassung stellen. Sein Unmut über den zunehmenden Unitarismus in der wilhelminischen Ära brach bei den Krönungsfeierlichkeiten für Zar Nikolaus II. (1868–1918) im Juni 1896 durch, an denen er als Angehöriger der deutschen Delegation teilnahm. Bei einem Bankett der deutschen Kolonie in Moskau protestierte er scharf dagegen, die deutschen Bundesfürsten als Vasallen des Kaisers zu bezeichnen. Dies brachte ihm viel Lob in Bayern ein, doch musste er sich später bei Wilhelm II. entschuldigen.
König Ludwig III. musste am 1. August 1914 den Kriegszustand für Bayern erklären, denn auch dieses Vorrecht gehörte zu den bayerischen Reservatrechten. Die ostentativ zur Schau gestellte Reichstreue sollte die Übereinstimmung der Dynastie mit der öffentlichen Meinung demonstrieren und der Gefahr einer stärkeren Zentralisierung des Reiches nach dem Friedensschluss zuvorkommen. Gleichzeitig verlor der König den Oberbefehl über die Bayerische Armee, behielt ihn aber über die immobilen Ersatztruppen in der Heimat. Bald nach Kriegsausbruch formulierte er weitreichende territoriale Kriegsziele, die er nach dem erhofften Sieg durchsetzen wollte. Seine Hauptsorge war dabei, dass die föderalistische Reichsverfassung durch die als unvermeidbar geglaubte preußische Machterweiterung noch weiter ausgehöhlt würde. Das Denken im Königshaus blieb von der Souveränität Bayerns und dem Wunsch, an die Traditionen des 1806 untergegangenen Reiches anzuknüpfen, geprägt. Die Forderung nach der Angliederung des Elsass’ an Bayern erklärt sich aus alten wittelsbachischen Besitzungen und der Nachbarschaft zur bayerischen Pfalz.
Der König besuchte im Weltkrieg häufiger seine Truppen, welche großteils von seinem Sohn Kronprinz Rupprecht und seinem Bruder Prinz Leopold (1846–1930) kommandiert wurden. Allerdings verfügte er kaum über gründlichen militärischen Sachverstand und vertraute den siegesgewissen Verlautbarungen der Obersten Heeresleitung. Die realistische Einschätzung der Kriegslage in den Briefen seines Sohnes Rupprecht schob er beiseite. Der Friedensschluss sollte für ihn eine Kompensation für die menschlichen und materiellen Opfer des Krieges darstellen.
In den Jahren der Herrschaft König Ludwigs III. gab es bereits Entwicklungslinien, die in einer Revolution münden konnten. Dabei dürfen aber die Chancen für die Umwandlung der bayerischen Monarchie von einer konstitutionellen zu einer parlamentarisch geprägten Regierungsform nicht übersehen werden. Früh wurden Forderungen nach Verfassungsänderungen hinsichtlich der Einführung des Verhältniswahlrechts und einer Reform der Kammer der Reichsräte erhoben. Der König hielt sich geradezu ängstlich an die Bestimmungen der bayerischen Verfassung und vermied jede Kompetenzüberschreitung gegen- über seiner Regierung und dem Landtag. Immerhin erreichte er „in Anerkennung
der patriotischen Haltung der gesamten Arbeiterschaft seit Ausbruch des Krieges“ ab dem Herbst 1915 eine Annäherung an die Sozialdemokratie. Ludwig III. kümmerte sich um die zunehmend prekärer werdende Ernährungslage, unterstützte die Einrichtung von Volksküchen und sorgte für die Bereitstellung verbilligter Lebensmittel für Bedürftige, Milch aus Leutstetten wurde an Säuglingsheime verteilt. Freilich konnte dies die Notlage nicht grundsätzlich lösen.
Erst Ende Oktober 1918 war die Regierung bereit, das Verhältniswahlrecht für die Abgeordnetenkammer und das Recht beider Kammern bei der Regierungsbildung mitzuwirken, zuzugestehen. Am 2. November einigten sich Regierung und Landtag auf die Einführung des Verhältnis- und Frauenwahlrechts, die Erweiterung der Reichsratskammer in berufsständischem Sinne, die Ausdehnung des Verhältniswahlrechts auf die Landrats-, Distriktsrats- und Gemeindewahlen, die Überprüfung der Standes- und Geburtsvorrechte sowie Verantwortlichkeit der Minister und Bundesratsgesandten gegenüber der Zweiten Kammer. Der König stimmte der Parlamentarisierung sofort durch Erlass vom 2. November zu und forderte den Vorsitzenden im Ministerrat Otto Ritter von Dandl (1868–1942) zur Umbildung des Ministeriums in diesem Sinne auf. Vertreter der drei großen Fraktionen einschließlich der Sozialdemokraten sollten als Minister berufen werden. Trotz vielfach richtiger Erkenntnisse bei Mitgliedern des Königlichen Hauses wurden die Verfassungsreformen erst unter dem Druck des Krieges und zu spät für eine stabilisierende Wirkung für die monarchische Staatsform durchgeführt.
Nur die Folgen der Münchener Friedenskundgebung vom 7. November 1918, der Marsch Kurt Eisners und seiner Gefolgsleute durch München mit der anschließenden Ausrufung der Republik, kamen für den König und seine Regierung überraschend. Gegen 19 Uhr hatte sich die Residenzwacheaufgelöst, der Kriegsminister war ohne zuverlässige Truppen in München. Ludwig III. erwog verschiedene Möglichkeiten, sich etwa zu vermeintlich treuen Truppen zu begeben, doch er konnte keinen Entschluss fassen. Auf den Rat der Regierung brach das Königspaar mit seinen Angehörigen in den Abendstunden des 7. Novembers nach Schloss Wildenwart im Chiemgau auf, um dort abzuwarten, bis die Ruhe in München wieder hergestellt wäre. Nichts war für eine nächtliche Fahrt vorbereitet, schließlich wurden das Königspaar, drei seiner Töchter, Erbprinz Albrecht (1905–1996) und wenige Begleiter in drei Wagen nach Wildenwart gebracht.
Erst vom 8. November an kann man die Weiterreise des Königspaares, verunsichert durch Nachrichten und Gerüchte aus München über heranziehende Revolutionäre und Soldatenräte, nach Berchtesgaden als Flucht bezeichnen. Zunächst bezog es hier das abgelegene Jagdhaus am Hintersee. Die Regierung Dandl und die Kommandierenden Generäle in Bayern überließen Eisner und seinen Gefolgsleuten ohne Widerstand das Feld. Die ohne Legitimation ausgerufene Republik konnte Bestand haben, weil sich die Beamtenschaft loyal gegenüber dem Staat Bayern unabhängig von der Staatsspitze erwies. König Ludwig III. sanktionierte die Entwicklung des fortbestehenden bayerischen Staates, indem er zwar nicht auf den Thron verzichtete, aber mit der Anifer Erklärung vom 13. November 1918 den Treueid auflöste. Danach kehrte das Königspaar am 18. November aus dem salzburgischen Anif nach Wildenwart zurück. Die nach der Ermordung Kurt Eisners am 21. Februar 1919 ausgebrochenen Unruhen bedrohten auch das Königshaus. Die Angst vor Verfolgung trieb Ludwig III. am 23. Februar ins Exil nach Tirol und weiter nach Liechtenstein und in die Schweiz. Erst im April 1920 kehrte er nach Wildenwart zurück.
Die finanzielle Lage König Ludwigs III. und seiner Familie war nach der Revolution höchst unsicher, sie konnten über kein geregeltes Einkommen mehr verfügen. Die Weiterführung der Zivilliste, deren Verwaltung das Finanzministerium übernommen hatte, wurde eingestellt. Ludwig III. waren neben Leutstetten nur der Privatbesitz seiner Frau, Schloss Wildenwart sowie die Güter Eiwanowitz und Sárvár geblieben, wobei höchst unsicher war, ob die Besitzungen in den habsburgischen Nachfolgestaaten gesichert werden konnten.
Das Schlossgut Sárvár
Sárvár liegt an der Raab in Westungarn etwa auf halber Strecke zwischen dem Neusiedler See und dem Plattensee, im Osten der Stadt Steinamanger (Szombathely). In der Mitte des 16. Jahrhunderts wurde hier über einer älteren Anlage das später mehrfach umgebaute, kastellartige Renaissanceschloss Nádasdy errichtet, das türkischen Angriffen standgehalten hatte. Im frühen 19. Jahrhundert kam es in den Besitz der Habsburger Nebenlinie von Österreich-Este. Nach dem Tode ihres Onkels Herzog Franz V. von Modena im Jahr 1875 erbte Marie Therese von Bayern das Schlossgut. Es umfasste ca. 9.000 Hektar Land, etwa je zur Hälfte Wald und Felder, die in 17 Meierhöfen organisiert waren. Um die 1.000 Personen mit ihren Familien waren hier beschäftigt. Zum Besitz zählten zahlreiche Rinder, Schweine und 40 Pferdestuten zur Halbblutzucht.
Prinzessin Marie Therese hielt sich öfter in Sárvár auf, wie aus ihrem umfangreichen Briefwechsel mit Familienangehörigen hervorgeht. Prinz Ludwig kümmerte sich, ähnlich wie in Leutstetten, um die Bewirtschaftung des Gutes, förderte die Pferdezucht, aber auch die Milchwirtschaft. Der hier produzierte Käse wurde sogar bis in die Schweiz exportiert. Zahlreiche Photographien dokumentieren die Familienaufenthalte wie das Leben auf dem Gut. König Ludwig III. besuchte Sárvár noch im Juni 1918 im Anschluss an ein Treffen mit Kaiser Karl in Wien. Auf den nachdrücklichen Wunsch ihres Gatten hatte Königin Marie Therese schließlich ihn und nicht ihre Söhne Rupprecht und Franz als Erben ihrer Güter Eiwanowitz und Sárvár eingesetzt.
Nach der Novemberrevolution in München war ein Aufenthalt in Sárvár allerdings keine Option für die königliche Familie, da im März 1919 auch in Ungarn nach sowjetrussischem Vorbild Räte die Macht übernommen hatten. Erst mit der Wiederherstellung der Ordnung durch den Reichsverweser Admiral Nikolaus von Horthy (1868–1957) waren die Eigentumsverhältnisse der Vorkriegszeit gesichert. Ende September 1921 besuchte König Ludwig III. noch einmal sein Gut, wo er mit königlichen Ehren empfangen wurde. Er inspizierte den Gutsbetrieb und ging auf die Jagd. Allerdings war seine Gesundheit seit längerem schwer angeschlagen, bei einem Besuch der bulgarischen Front gegen Kriegsende hatte er sich die Ruhr zugezogen. Am 18. Oktober 1921 starb er in Sárvár an Magenblutungen und Herzversagen, nachdem ihm der Bischof von Steinamanger Johann Graf von Mikes (1911– 1936) die Sterbesakramente gespendet hatte. Kronprinz Rupprecht traf am Vorabend des Todes ein, um wie seine Geschwister Abschied vom Vater zu nehmen. Die Überführung der Leiche des Königs aus Sárvár nach Bayern wurde durch die politische Entwicklung in Ungarn verzögert, wo gerade Kaiser und König Karl seinen zweiten Restaurationsversuch unternahm. In Folge dieser Umstände konnte der Bahntransport des Leichnams des bayerischen Königs von Ungarn nach Österreich erst am 29. Oktober beginnen. Während der Reichsverweser Horthy seinen eigenen König deportieren ließ, sandte er dem toten König von Bayern eine aus Tannenreis und Blumen gebildete Königskrone nach. Der Leichnam Ludwigs III. wurde mit einem Sonderzug über Wien und Salzburg zunächst nach Wildenwart gebracht. Gemeinsam mit dem Sarg der Königin Marie Therese wurde er am 4. November nach München überführt und am 5. November nach einem großen Trauerkondukt in der Frauenkirche beigesetzt.
Kronprinz Rupprecht und Prinz Franz erbten nun aus dem Privatbesitz ihrer Eltern die Güter Leutstetten, Eiwanowitz und Sárvár. Die Tschechoslowakei hatte Eiwanowitz zunächst unter Zwangsverwaltung gestellt und wollte es als Habsburger-Besitz enteignen. Durch eine Bodenreform – 60% waren entschädigungslos enteignet worden – und den Verkauf des Schlosses war es auf Waldbesitz beschränkt worden. Besser verlief die Entwicklung in Ungarn. Prinz Franz (1875–1957) ging nun dorthin, um persönlich die Verwaltung des Gutes in Sárvár zu übernehmen, wo er sich ab 1933 beständig aufhielt. An seiner Seite stand Prinzessin Isabella von Croy (1890–1982), die er 1912 geheiratet hatte. Ein besonderes Anliegen war ihm die Pferdezucht und die Förderung der ungarischen Halbblut-Rasse Furioso-North Star. Auch sorgte er für die Ausstattung des Schlosses mit Kunstwerken aus Familienbesitz. Kronprinz Rupprecht besuchte seinen Bruder immer wieder zu Jagdaufenthalten.
Wegen der unerquicklichen Stimmung in der Heimat nach der nationalsozialistischen Machtergreifung verbrachte Kronprinz Rupprecht den Jahreswechsel 1934/35 bei seinem Bruder Franz in Ungarn. Auf Anraten seiner Umgebung ging er im August 1939 wieder nach Sárvár, um bei einem befürchteten Kriegsausbruch außer Landes zu sein. Bestimmend dafür war die Überlegung, dass der Kronprinz im Falle eines verlorenen Krieges zu den wenigen Persönlichkeiten gehören würde, die den Feindmächten gegenüber eine führende und entscheidende Rolle spielen könnten, weil sie sich nicht in den Nationalsozialismus verstrickt hatten. Einen weiteren Grund bildete die wenige Tage zuvor erfolgte Aufdeckung des monarchistischen Widerstandskreises um Dr. Adolf Freiherrn von Harnier (1903–1945) durch die Gestapo. Die Gestapo versuchte, den Kronprinzen in die „Verschwörung“ des Harnier- Kreises zu verwickeln. Um den latenten Verdacht seiner Mitwirkung auszuräumen, kehrte er doch kurzfristig nach Bayern zurück, um es zum Jahresende Richtung Italien zu verlassen.
Prinz Franz von Bayern bewirtschaftete weiterhin sein ungarisches Gut, unterstützt von seinen Söhnen, den Prinzen Ludwig (1913–2008), der nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ gekommen war, und Rasso (1926–2011). Vor dem drohenden Einmarsch der Roten Armee 1945 flüchtete Prinz Franz mit seiner Familie nach Bayern, wo sie in Leutstetten unterkamen. Prinz Ludwig schlug sich im März von Sárvár aus mit ungarischem Gutspersonal auf Pferdefuhrwerken und mit Zuchtvieh in einem dreiwöchigen Treck ebenfalls nach Leutstetten durch. Zuvor waren noch einige Wertgegenstände, Silber und Gemälde eingemauert worden. Eine Sprengung des Schlosses durch die Waffen-SS konnte nach Aussage von Prinz Rasso verhindert werden, es wurde aber von den Sowjets enteignet. In Leutstetten entstand nun eine kleine ungarische Exilkolonie, die Pferdezucht wurde durch Prinz Ludwig von Bayern erfolgreich fortgesetzt.
Im Leutstettener Pferd leben die Sárvárer Pferde weiter. Die andauernde Verbindung der Wittelsbacher mit Ungarn äußerte sich besonders in der Unterstützung für die ungarischen Flüchtlinge 1956 und für das Europäisch- Ungarische Gymnasium in Kloster Kastl (1958–2006).
Im Geschichtsdenken in Ungarn sind die Wittelsbacher nicht nur in Kaiserin und Königin Elisabeth von Österreich-Ungarn (1837–1898), einer geborenen Herzogin in Bayern, präsent, sondern die Erinnerungskultur reicht weit in die Vergangenheit zurück. Der erste christliche König Ungarns Stephan der Heilige (969–1038) heiratete um 996 die bayerische Prinzessin Gisela (984/85–1060), die als Selige verehrt wird. Als Ort seiner Taufe und der Eheschließung gilt in der lokalen Tradition Scheyern, wo das wichtigste Hauskloster der Wittelsbacher Dynastie gestiftet und Königin Gisela in die Frühgeschichte der Familie, der Grafen von Scheyern, einbezogen wurde. Somit umspannen die bayerisch-wittelsbachisch-ungarischen Beziehungen über ein Jahrtausend.
Literaturhinweise
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