Zeitgeschichte
Der sympathische Uhrmacher, der gerade dabei ist, die prächtige Löwenuhr zu reinigen, die demnächst bei NEUMEISTER versteigert wird, erzählt dermaßen schwungvoll von seinem Handwerk, dass völlig egal ist, wohin die Zeiger streben — viel spannender, was hinter den Zifferblättern passiert. Staunend verfolgt man, wie Fritsch das Uhrwerk öffnet. Tick tack, tick tack. Hier pocht das Herz dieser kleinen Wunderwerke.
Die Faszination dafür hat den heute 56-Jährigen nie losgelassen. Seitdem er mit elf das erste Mal sah, wie das ausschaut in so einem Uhrwerk. „Mein Vater ist schuld“, meint Fritsch lachend. Er lacht viel und gern und mitreißend. Und erinnert sich: Sein Vater wäre selbst am liebsten Uhrmacher geworden. Das Leben spielte anders, er wurde Professor für Veterinärchirurgie, blieb aber leidenschaftlich neugierig in Sachen Technik. „Ich habe damals zugeschaut, wie er unsere Kuckucksuhr zerlegt hat — das war der ausschlaggebende Moment, in dem ich mir gesagt habe: Ich werde mal Uhrmacher“, erzählt der Sohn 45 Jahre später. Er hat es durchgezogen. Mit 16 seine Uhrmacher-Lehre gemacht, in der hessischen Heimat. Doch weil sein damaliger Meister meinte, der Augenoptiker-Beruf sei viel lukrativer — „Brillen werden immer gebraucht und die Kasse zahlt“ — setzte er noch eine Optiker-Lehrer obendrauf. War aber nix. Wobei: Seine Frau hat er dabei kennengelernt. War also doch was: „Das Einzige, was ich aus den drei Jahren mitgenommen habe, war meine Frau“, meint er schmunzelnd. Danach belegte er noch einen Uhrmacher-Meisterlehrgang in Hildesheim und ging dann für zwei Jahre in die Schweiz, um das Restaurieren von antiken Uhren zu studieren.
Seit 24 Jahren hat Andreas Fritsch in der Münchner Au inzwischen sein eigenes Geschäft. Er ist zertifiziert für die Reparatur sämtlicher Marken. Und spezialisiert auf antike Uhren. Oder solche, die Rolex, Patek Philippe und Co. zur Reparatur nicht annehmen, weil sie die nötigen Ersatzteile nicht mehr fertigen. „Wenn eine Uhr 20 oder 30 Jahre alt ist, wird es schon manchmal schwierig, dafür noch ein Ersatzteil aufzutreiben. Da kommen dann wir ins Spiel“, erzählt Fritsch — und meint damit sein dreiköpfiges Team: sich selbst, seine Frau und einen Mitarbeiter. In der Werkstatt fertigen sie die Ersatzteile an. Getriebe, Federhäuser, was immer nötig ist, um etwa eine schicke Herren-Armbanduhr aus den Fünfzigerjahren wieder zum Ticken zu bringen. Sie feilen, sie fräsen, sie drehen. Höchste Handwerkskunst.
Die ist auch gefragt bei besagter Löwenuhr. Da liegt sie auf Fritschs Werkbank. Zerlegt in ihre edlen Einzelteile. Der Uhrmacher zieht Handschuhe über, um die niedlichen kleinen goldenen Tatzen des Löwen, die Mähne, das Krönchen zu präsentieren. Das schaut alles so kostbar aus und die vielen kleinen Schräubchen und Teilchen wirken derart filigran — hat er keine Angst, etwas kaputtzumachen? Wieder erklingt sein herzliches Lachen. „Angst? Nicht mehr. Ich arbeite jetzt ja seit mehr als 30 Jahren als Restaurator. Aber ich weiß noch, als ich angefangen habe und die ersten richtig teuren Uhren zu reparieren hatte: Da ist mir der Schweiß auf der Stirn gestanden“.
Heute ist das Routine. Aber klar, so eine Löwenuhr ist selbst für den gestandenen Profi besonders. Solche Pracht sieht man sonst nur im Museum. So finden sich zahlreiche Figurenuhren mit Löwendarstellungen aus dem 17. Jh. in nationalen und internationalen Museen und Sammlungen, zum Beispiel im württembergischen Landesmuseum in Stuttgart, im Adler Planetarium in Chicago und im Metropolitan Museum of Art in New York. Internationalität paart sich dabei mit Lokalkolorit. Schließlich ist es der Bayerische Löwe, der die zur Auktion kommende Uhr ziert. Und dieser Löwe hat Symbolkraft: Er ist Wappentier der Wittelsbacher und wird auch mit der bayerischen Bierkultur in Verbindung gebracht — schon weil er Maskottchen der Löwenbräu-Brauerei ist. Ein besonders sehenswertes Exemplar befindet sich übrigens im überaus erfolgreichen Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg. Dort werden Besucher von einem vier Meter hohen Pappmaché-Löwen begrüßt, der seit den 1950er Jahren auf dem Oktoberfest von der Fassade des Löwenbräuzeltes herabbrüllte und zum Prosten einen Masskrug hob.
Die Uhr ist lebendige Geschichte. Andreas Fritsch — auch als Experte der TV-Sendung „Kunst und Krempel“ bekannt — weiß das. Und gerät beim Anblick des Wappens ins Schwärmen: „Schauen Sie, hier ist das Entstehungsjahr eingeprägt: 1627. Da bekommt man Ehrfurcht vor seinen Berufs-Vor-Vor-Vor-Vorfahren. Das ist schon toll, ihr Werk Jahrhunderte später in den Händen halten zu dürfen. Und was mich besonders begeistert, ist dieser Glanz!“ Tatsächlich strahlt der Löwe heller als der lichte Tag. „Das liegt daran, dass der Bronze-Messing-Guss komplett feuervergoldet ist — so hat man das zu der Zeit noch gemacht. Deshalb verlieren die damaligen Bronzen ihren Glanz nicht“. Weil bei diesem Verfahren giftiges Goldamalgam verwendet wurde, ist es heute allerdings verboten.
Und ein bisschen muss man dann doch auch bei feuervergoldeten Arbeiten nachhelfen, damit sie 300 Jahre später noch derart leuchten. „Als die Uhr bei uns ankam, waren der Löwe und die Silberbeschläge am Sockel teilweise fast grün verfärbt“, Der Schmutz vieler Jahre. Fritsch hat sämtliche Teile fein säuberlich gereinigt. Mit einem sanften Mittel auf Seifenbasis. In einem gläsernen Behälter sieht man schwarzes Wasser — darin der Dreck allein von den silbernen Beschlägen. Das sei schon ein befriedigendes Gefühl, wenn man mit Schwämmchen und Bürstchen loslegt — und sieht, wie die Spuren der Geschichte in schwarzen Strömen dahinrinnen. Zurück bleibt: ein strahlendes Kunstwerk.
Mehr als die Reinigung der Löwenuhr übernimmt Fritsch vorerst nicht. „Wir wissen ja nicht, wer die Uhr ersteigert. Was die Restaurierung angeht, gibt es verschiedene Haltungen“, erklärt der Experte. „Die einen finden, man müsse etwas so lassen, wie es ist, dürfe nur den Ist-Zustand konservieren, um die Geschichte, die in dem Stück steckt, nicht zu zerstören. Andere finden, dass eine Uhr laufen muss und lassen sie entsprechend herrichten“. Hier kann der künftige Käufer individuell entscheiden.
Und zu welcher Fraktion gehört Andreas Fritsch? „Ich fände es toll, wenn mich der Käufer oder die Käuferin bitten würde, sie zu restaurieren, also auch das Uhrwerk wieder zum Laufen zu bringen“. Denn dann passiert etwas Zauberhaftes: Zu jeder vollen Stunde reißt der Löwe das Maul auf — und die Augen bewegen sich. „Wir haben es ausprobiert. Das ist total lustig. Schaut aus, als würde er schielen“.
Übrigens hat die Uhr nur eine Stunden- und keine Minutenanzeige. Die ersten Uhren hatten nur zwei Zeiger. Weil man noch nicht so genau arbeiten konnte. Gleichzeitig macht das auch deutlich, wie sehr sich unser Zeitgefühl über die Jahrhunderte verändert hat. Wo keine Minutenanzeige, da kommt es auch nicht so sehr auf die einzelne Minute an. Und heute? Zeigen uns Handy und Smart-Watch die Uhrzeit an, auf die Milli-Sekunde übergenau. Wir lassen uns davon antreiben — und nennen das dann „smart“ Watch. Andreas Fritsch sieht’s gelassen: „Das ist eine Frage der eigenen Einstellung, ob man sich davon stressen lässt oder nicht“. Wenn man ihn so sieht, wie er da zwischen all den Uhren in seiner Werkstatt steht, muss man ihn fragen: Was hat er eigentlich selbst für ein Verhältnis zur Zeit? Fröhlich platzt es aus ihm heraus: „Gar keins! Ich habe gar kein gutes Verhältnis zu Zeit“. In seiner Arbeit mit Uhren sei er sehr genau. Aber in Sachen Zeitgefühl? „Ein paar Minuten hin oder her finde ich nicht so dramatisch, da muss man ein bisschen entspannt sein. Das macht einem auch das Leben leichter“.